Indianer spielen, das machen nur kleine Jungs um ihre Sehnsucht nach Pferden als männlich und ihre Lust aufs Raufen als romantisch durchgehen zu lassen. Falsch gedacht. Neben den vielen kleinen Rothäuten in deutschen Kinderzimmern beschäftigen sich auch tausende Eltern leidenschaftlich gerne mit den amerikanischen Ureinwohnern. Und deren Interesse verschwindet nicht schon beim mütterlichen Ruf nach dem Mittagessen, sondern besteht mitunter Jahrzehnte lang.
Freizeit unter Indianern
Über 150 registrierte Westernclubs existieren in der
Bundesrepublik, in denen meist erwachsene Mitglieder dem Leben und Denken der
Indianer nachspüren. Mindestens noch einmal genauso viele nicht-offizielle
Vereine dürften dazukommen. Einer davon ist der Winnebago Indian- und
Westernclub in Lahr. 90 Mitglieder verbringen große Teile ihrer Freizeit auf
dem liebevoll angelegten Clubgelände samt Blockhaus-Notenbank, Tipi und
Versammlungszelt am Waldrand, bei großen Sommerlagern mit den „Stämmen“ aus der
Umgebung oder einfach nur beim sonntäglichen Bier vor dem selbst gezimmerten
Saloon. Von Weltferne, Realitätsflucht oder verspätetem Ausleben von
Kindheitsfantasien wollen sie aber nichts wissen.
Mit Haut, Haaren und Bärenkiefern
„Wir bilden uns
nicht ein, Indianer zu sein“, betont Vereinsvorstand Erich Mosbach. Der 62-jährige Vermögensberater ist seit über 40 Jahren bei den Winnebagos dabei. „Stattdessen versuchen wir hier, das
Interesse an den amerikanischen Ureinwohnern mit einer ethnologischen
Herangehensweise zu koppeln. Und natürlich wollen wir auch so gut es geht mit
Haut und Haaren selbst erfahren, wie sich indianisches Leben anfühlt“. Während
der Club Mitte der Sechziger als reiner Faschingsverein gegründet wurde,
wollten die Hobbyindianer aus Lahr bald nicht mehr nur ein besonders bunter
Teil des Fastnachtsumzuges sein. Heute befassen sie sich neben der Lektüre von
einem inzwischen sehr umfangreichen Spektrum an Fachliteratur zum Thema und natürlich
dem gemeinsamen Fachsimpeln darüber auch mit der Herstellung indianischer
Kleidung, Werkzeuge und Waffen, lernen authentische Tänze und Gesänge und manch
einer versucht sich auch an der komplizierten Dakota-Sprache des Vorbildstammes
aus den Prärien von Wisconsin.
„An meiner kompletten Indianermontur habe ich gute hundert Stunden
gearbeitet“, sagt Vorstand Mosbach stolz, „in reiner Handarbeit und mit
klassisch-indianischen Materialien und Hilfsmitteln“. Diese zu beschaffen ist
mittlerweile nicht mehr ganz einfach. Zu Kleidern oder Waffen verarbeitete
Adlerfedern oder Bärenkieferknochen sind dem Tierschutz natürlich ein Dorn im
Auge. Die tierischen Utensilien müssen daher älter sein, als das sie betreffende Artenschutz-Gesetz. Spezialgeschäfte bedienen diese besonderen Bedürfnisse deutscher Indianer. Neben einem prächtigen Indianergewand hat Mosbach auch klassische
Trapperkleidung im Schrank hängen, für ihn stellt das keinen Verrat an der „indianischen
Sache" dar, er kennt aber auch Clubs, die das nicht dulden würden.
Baumfreunde und auf dem Boden Gebliebene
„Einige Vereine haben irgendwann die Bodenhaftung verloren“, meint er und erzählt von deutschen „Stämmen“, die sich in traditioneller Kleidung im Wald herumtreiben und Jagden auf imaginäres Wild veranstalten oder von Hobbyindianern, die eine Konversation mit einem Baum dem Gespräch mit ihren Mitmenschen vorziehen. Tatsächlich scheinen viele Freizeit-Rothäute ihr Hobby ernster zu nehmen als Erich Mosbach das tut. Im Internet toben regelmäßig Debatten, in denen Mitglieder verschiedener Stämme die Gewänder, die Tänze und sowieso das ganze Verhalten der jeweils anderen als „unecht“ brandmarken und sie so in ihrem deutschen Indianer-Dasein zu schmälern versuchen. Mosbach fällt dazu die Geschichte eines von kanadischen Indianern adoptierten Europäers ein, der es bis zu ihrem Medizinmann brachte und sich schließlich sogar als letzter Überlebender des Stammes wiederfand, aber trotzdem behauptete: „Ich bin ein Weißer, ich werde niemals Indianer sein“. Das „Indianerspielen“, wie er es nennt, ist für ihn ein schönes Hobby, aber kein Lifestyle.
Wichtiger als die richtige Farbe des Federschmucks oder die
korrekte Aussprache indianischer Floskeln ist für ihn die Gemeinschaft im
Winnebago-Club. Von der klassischen Weihnachtsfeier bis zum exotischen,
mehrtägigen Council-Treffen bietet ihm der Verein zahlreiche Möglichkeiten, mit
Menschen, die ähnliche Interessen wie er haben, zusammen zu kommen. Und es war
auch nicht die nächtliche Karl May-Lektüre unter der Bettdecke im Kinderzimmer,
die ihn in den Verein geführt hat (in seiner Kindheit und Jugend hat er keinen
einzigen der Indianer-Klassiker gelesen),
„Ein Freund hat mich so lange genervt, doch mal mit in den Verein zu
kommen, bis ich ja gesagt habe, und jetzt bin ich hier seit 46 Jahren“.
Ganz normale Mitteleuropäer
Für nicht wenige deutsche Indianerclubs sind ihre oft schon lange
ausgestorbenen Originale in Amerika unantastbare Vorbilder in Sachen
Lebensführung und Philosophie und zahlreiche Mitglieder versuchen, auch in ihr
Privatleben so viele indianische Tugenden (oder das, was sie dafür halten) wie
möglich einfließen zu lassen. Auch hier ist Erich Mosbach zurückhaltender: „Die
Vorstellung vom immer tapferen, ehrenvollen und ritterlichen Indianer geht an
der Realität natürlich vorbei“. Für Mosbach ist klar, dass auch die Ureinwohner nicht in makellosen Idealgesellschaften ein paradiesisches Leben führten und berichtet von blutigen Ritualen
zur Demonstration männlicher Ehre, bei denen die Teilnehmer an den Brustmuskeln
an Pfählen aufgehängt darauf warteten, dass sie durch Ausreißen des
Gewebes männlicher denn je wieder auf den Boden fielen. „Wenn ich einen Teil
indianischer Philosophie auch für mein eigenes Leben aufnehme, dann ist es die
Achtung vor der Natur. Aber nur weil ich hier auf dem Clubgelände manchmal im
Lendenschurz herumlaufe bedeutet das nicht, dass indianisches Denken großen
Einfluss auf meinen Alltag ausübt“, sagt Mosbach. „Letztlich sind wir
Winnebagos nur ganz normale Mitteleuropäer, die gerne mal ins Leder steigen“.
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